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Anmeldungsdatum: 14.04.2005 Beiträge: 4085 Wohnort: Ludwigshafen am Rhein
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Verfasst am: 02.12.2006 00:53 Titel: Nacht ohne Sterne |
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Lichtverschmutzung: Lichtglocke über Osnabrück
Nacht ohne Sterne
Ein Drittel der Deutschen hat
noch nie die Milchstraße gesehen
In Deutschland beginnt die dunkle Jahreszeit, doch richtig dunkel wird es dabei nicht. Straßenlaternen, Flutlichter und Reklameleuchten erhellen den Nachthimmel schon im Sommer, jetzt kommt die Weihnachtsbeleuchtung hinzu. Experten sprechen von "Lichtverschmutzung" - und beklagen das Verschwinden der Sterne.
von Ulrich Hansen, 01.12.2006
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Ein "Wettrüsten" nennt der Leiter des Planetariums Osnabrück, Dr. Andreas Hänel, das, was sich derzeit die Kommunen in Sachen Weihnachtsschmuck liefern. Hänel vertritt in Deutschland die so genannte "Dark-Sky-Bewegung" - eine weltweite Initiative von Astronomen, die sich für einen maßvollen Einsatz von Licht engagiert.
Straßenbeleuchtung nach unten und oben
Laternen beleuchten den Himmel
Angesichts der ohnehin schon hohen Lichtglocken über den Städten fallen die vorweihnachtlichen Lichterketten allerdings kaum ins Gewicht. Das Problem sei vielmehr eine Straßenbeleuchtung, die sich mehr am schmucken Design orientiert, als am Nutzen: Kugelförmige Laternen zum Beispiel, die mehr als fünfzig Prozent ihrer Energie dafür verschwenden, den Nachthimmel zu beleuchten.
Bildquelle Pierre Brunet
Nachthimmel über Hannover
"Dadurch können wir die schwachen Objekte am Himmel, etwa die Milchstraße, nicht mehr richtig sehen," erklärt Hänel. "Die gehen einfach im Meer des Lichts unter." Der französische Astronom Pierre Brunet hat mit einer Fischaugenkamera den Himmel über den deutschen Metropolen fotografiert: Ein rostrotes Panorama, das kaum ein Stern durchdringt. Forscher der Universität Padua stellten vor einigen Jahren fest, dass 99 Prozent der Europäer und US-Amerikaner unter einem lichtverschmutzten Himmel leben.
Bildquelle NASA
Beleuchtungszunahme in Deutschland
Jugendliche ohne Sterne
"Ein Drittel der Deutschen hat noch nie die Milchstraße gesehen", konstatiert Hänel. Das betreffe vor allem die Jüngeren: "Von den unter 30-Jährigen sind es 44 Prozent. Das zeigt wie gravierend dieses Phänomen ist. "Und das Problem wächst, wie Satellitenfotos von Deutschland verdeutlichen: Aufnahmen der NASA zeigen, dass die Beleuchtung seit 1993 erheblich zugenommen hat - kaum ein Fleck, an dem es nachts noch richtig dunkel wird.
Das Verschwinden der Dunkelheit betrifft nicht nur die Sternenfreunde, auch wenn diese das Problem als Erste publik gemacht haben. Dass die Beleuchtung Insekten in ihrer Vielfalt schädigt, kann man in Sommernächten leicht beobachten. Ein Eingriff in die Nahrungskette sei das, sagen Biologen - auch wenn sich menschliches Mitleid hier noch in Grenzen halten mag.
Gestrandete Kraniche 1998 in Ulrichstein
Panik am Vogelsberg
Mehr Aufsehen erregen Fälle wie im hessischen Ulrichstein. Die grelle Beleuchtung einer Burgruine verwirrte hier im November 1998 die Zugvögel. Nebliges Wetter verstärkte das Licht, so dass 2000 Kraniche auf ihrem Weg nach Afrika abgelenkt wurden und in dem Örtchen am Vogelsberg notlandeten. Viele Vögel flogen panisch gegen die Mauern, dreizehn verendeten.
Auch den menschlichen Organismus lassen die Leuchten nicht unberührt: Das Zeitempfinden kann ebenso gestört werden wie der Schlaf. Neurologen erforschen derzeit Auswirkungen auf die Produktion des Schlafhormons Melatonin, das der Körper nur im Dunkeln bilden kann: Es gebe erste Indizien, sagt Hänel, "dass dieses Hormon notwendig ist, um Krebs zu unterdrücken".
"Wie eine ausgestorbene Tierart"
Im Osnabrücker Planetarium zeigt der Astronom den Besuchern, was diese kaum noch kennen. "Wir müssen den Sternenhimmel präsentieren, wie eine ausgestorbene Tierart", sagt Hänel. Dabei habe dessen Verschwinden auch kulturelle Auswirkungen.
Andreas Hänel
Er erinnert an Kant, der den bestirnten Himmel als Inspiration für seine Logik begriffen habe, an Vincent van Gogh und sein Gemälde "Sternennacht" und an die Wechselwirkungen mit der Wissenschaft: "Ohne die Erkundung des Sternenhimmels hätten die Menschen nie die Erde erkunden können, hätten keine Zeit, kein Kalendersystem erfunden."
Erkenntnis der eigenen Relativität
Der amerikanische Science-Fiction-Autor Isaac Asimov beschrieb 1941 in seiner berühmt gewordenen Kurzgeschichte "Nightfall" satirisch, was mit einer Zivilisation ohne Sterne passiert: Für die Bewohner des Planeten eines Mehrsternsystems wird es aufgrund der Konstellation ihrer Sonnen nur alle 2050 Jahre Nacht. Der plötzliche Blick auf die Sterne, ins All, erschüttert ihr Weltbild dermaßen, dass die Zivilisation dabei regelmäßig in Wahnsinn und Anarchie verfällt.
Die Beobachtung des Kosmos sei immer auch verbunden mit der Erkenntnis der eigenen Relativität, sagt Hänel. "Dann erkennt man seine Situation in diesem Universum - und dass wir eben letztlich aus dem Staub dieser Sterne geboren sind."
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